Wir wollen die Anarchie. Wir wollen Freiheit und Autonomie für alle ohne Herrschaft und Grenzen. Wir wollen die Umwälzung des Bestehenden. Wir wollen die soziale Revolution.
Daran hat sich seit dem letzten ACAT-Treffen nichts geändert. Letztes Jahr sind unter anderem folgende Fragen dort diskutiert worden: Die Frage ob spezifische Kämpfe heute immer noch ihre Gültigkeit haben bzw. ob sie notwendiger denn je wären, inwiefern wir angesichts dystopischer Zustände in soziale Kämpfe intervenieren wollen und wie, die Vereinnahmung antiautoritärer Kämpfe durch Autoritäre (am Beispiel der Appelist*innen in der ZAD in Nantes, Frankreich), über die digitale Einhegung und den Widerstand dagegen (am Beispiel des Gefährten Boris in Frankreich und die anhaltenden Kämpfe gegen das sich global ausbreitende digitale Freiluftgefängnis dort), die Geschichte der aufständischen Methode im Anarchismus, Krieg, und das Patriarchat in seiner techno-industriellen Form. [Die Diskussionstexte vom letzten Jahr findest du hier]
Dieses Jahr wollen wir wieder zusammenkommen, um aufeinander zu treffen und ohne Bildschirme zwischen uns in Austausch zu treten. Wir wollen diskutieren. In großen und kleinen Gruppen, mit neuen Gesichtern und alten Bekannten. Mit der Erfahrung vom letzten Jahr, haben wir uns entschieden, die Diskussionen auf drei Thementage mit jeweils zwei Diskussionen pro Tag zu beschränken. (Spontane Diskussionen können natürlich jederzeit wieder gestartet werden).
Die Themen werden die folgenden sein:
- Internationale Solidarität
- Extraktivismus
- Krieg
Das Treffen findet vom 30. Mai bis zum 2. Juni im Hambacher Forst statt. Die Diskussionstage sind Freitag, Samstag, und Sonntag. Anreisetage sind Mittwoch der 29. und Donnerstag der 30. und Abreisetag ist Montag der 3. Juni.
Bringt eure Distros!
Für Verpflegung wird gesorgt. Zelte, Schlafsäcke und Matten müssen mitgebracht werden. Menschen, die nicht im Zelt schlafen wollen, meldet euch bitte, wir werden Alternativen (die auch kein Klettern beinhalten) organisieren, diese werden aber von der Anzahl her begrenzt sein und zuerst an Leute gehen, die diese brauchen, um am Treffen teilhaben zu können.
Um uns zu kontaktieren oder wenn ihr Fragen habt, kontaktiert uns unter:
acat [äd] supernormal.net pgp-key hier
Ein detailliertes Programm, sowie Details zur Anreise und weitere Infos folgen Anfang Mai auf unserem Blog https://acat.noblogs.org/
Willkommen sind alle Anarchistinnen, alle wilden Herzen, freien Geister, Subversive und Rebellinnen, die sich in dieser Einladung wiedererkennen.
Nichtsdestotrotz – und mit der Erfahrung vom letzten Jahr und anderen Treffen – wollen wir dieses Jahr einen kleinen Disclaimer beifügen, wer sich überlegen sollte, ob er*sie wirklich kommen will:
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Leute, die moderierte Diskussionen, Redner*innenlisten und andere sozialkybernetische Modalitäten erwarten. Ihr könnt euch gerne für Kleingruppendiskussionen so frei assoziieren, aber die meisten Diskussionen werden nicht so geführt werden.
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Leute, die erwarten, dass es bei einem Diskussionstreffen ein Awareness-Team gibt, weisen wir im Vorhinein darauf hin, dass es keines geben wird.
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Leute, die Party und Konsum erwarten. Es gibt genug Möglichkeiten dafür, ein Diskussionstreffen und der Wald sind vielleicht einfach nicht der Rahmen.
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Leute, die im Bezug auf die Kriegsfrage, die Einreihung von Anarchistinnen unter der ein oder andern (proto)-staatlichen Formation befürworten bzw. andere Anarchistinnen (moralisch) dazu drängen wollen für diesen oder jenen Staat Partei zu ergreifen (und zu kämpfen), bitte bleibt dem Treffen fern.
Ernsthafte Frage, da ich wenig Ahnung von der Bewegung habe: Wie stellt man in einem herrschaftslosen System sicher, dass die grenzenlose Freiheit der einen nicht die grenzenlose Freiheit der anderen eingeschränkt? Gibt es trotzdem Regeln, an die sich alle halten müssen? Wer entscheidet in Grenzfällen, was regelkonform ist und was nicht und wer setzt die Einhaltung der Regeln durch, wenn es keinen Staat gibt?
Ich als Nicht-Anarchie-Insider kann mir nur schwer vorstellen, wie Anarchie im großen Maßstab, also beispielsweise für eine ganze Gesellschaft funktionieren soll, wenn die Ansichten und Wertvorstellungen der Individuen so weit auseinandergehen, dass ein Zusammenleben schon mit Regeln schwierig ist.
Es kommt bei sowas auf den Freiheitsbegriff an, der verwendet wird. Es gibt da ja eine Menge an verschiedenen Defintionen, auch im anarchistischen Diskurs.
Im Grunde lässt sich das aber auf den Satz "Niemand ist frei solange nicht alle frei sind" herunter brechen. Die eigene Freiheit ist zwangläufig mit der Freiheit anderer verbunden.
Ansonsten sind Regeln oder Absprachen vollkommen konform mit Herrschaftslosigkeit. Wie jetzt Konflikte gelöst werden oder Grenzüberschreitungen, gibt es ebenfalls viele Ansätze. Ich würdr mal einige verlinken:
Nicht explizit anarchistisch, aber ein Blick in welche Richtung es ehen kann: https://www.opendemocracy.net/en/democraciaabierta/zapatistas-lecciones-de-auto-organizaci%C3%B3n-comunitaria-en/
Ansonsten kann ich die Anarchist FAQ empfehlen, da wird auf viele Fragen eingegangen.
Danke für deine Antwort und die Links. Ich habe die Artikel mal grob durchgelesen aber leider noch nicht so ganz die Antworten gefunden, für meine größten Fragen. Die Seiten beschreiben meist kleine Strukturen wie Nachbarschaften und zeigen Lösungsansätze für bestimmte Konflikte auf. Was aber passieren soll, wenn diese Wege nicht funktionieren, ist nicht beschrieben (bitte korrigieren, falls doch).
Community accountability
Restorative justice
Transformative Justice
Alle drei Modelle haben sicher interessante Aspekte und ich bin überzeugt, dass es für alles auch passende Anwendungsfälle gibt. Ich sehe aber nach vor Probleme bei Skalierbarkeit und Eskalationsstrategien. Was bei einer (zu einem gewissen Grad) homogenen Community funktioniert, lässt sich aus meiner Sicht nicht auf eine heterogene und teils tief gespaltene Gesellschaft übertragen. Und was tun, wenn die Ansätze mal nicht funktionieren?
Wenn ich "Anarchie für alle" lese, verstehe ich das als Forderung für die gesamte Gesellschaft. Da Staaten abgelehnt werden, nicht nur für die eines Landes, sondern für die gesamte Welt.
Wenn man die Welt mit all ihrer kulturellen, sozialen und geographischen Diversität einfach ohne Staaten und Exekutivgewalt der Selbstverwaltung überlässt, würde ich nicht "Freiheit für alle", sondern eher "nur der Stärkste überlebt" erwarten.
Du hast so 2 Punkte genannt auf die ich eingehen möchte:
Ich stelle mir da als Beispiel einen Fluss vor an dem hunderte oder tausende Menschengruppen wohnen, also bspw Städte, Dörfer usw. Da haben alle der Gruppen vielleicht gemeinsame Interessen aber auch gegensätzliche, bspw könnten Interessenskonflikte zwischen Gruppen weiter flussaufwärts und Gruppen die eher am Ende des Flusses liegen. Hier könnten die betroffenen Gruppen eine Förderation gründen um gemeinsam Probleme zu lösen und Absprachen zu treffen. Das klappt sicherlich am besten, wenn alle Beteiligten mit gutem Willen handeln und kann halt teilweise auch sehr langwierig sein. Aber meistens eilt es ja auch nicht.
Wird es nicht, aber gefühlt behauptet das auch kein*e Anarchist*in. Die aktuellen Herrschaftssysteme wie Staat oder Kapitalismus müssen ja abgeschafft werden und die werden eben nicht "kampflos" gehen. Das heißt eine bedeutende Anzahl an Menschen muss diese Herschaftssysteme erkennen und doll genug ablehnen um sich dagegen zu wehren. Somit ist die Vorraussetzung dafür, dass die aktuellen Herrschaftssysteme beseitigt werden auch gleichzeitig der Nährboden auf dem eine antiautoritäre Gesellschaft entstehen kann.
Natürlich sind wir da aktuell nicht. Erfolge, historisch und aktuell gesehen, gibt/gab es sowas auch meistens nur regional begrenzt.
Das finde ich eine schöne Metapher. Wie schon an anderer Stelle geschrieben, könnte ich mir hier auch sehr gut vorstellen, dass es in so einem begrenzten Anwendungsfall gelingen kann, gemeinsam eine Lösung zu finden, mit der alle Beteiligten glücklich sind (oder wäre es dann nicht eher schon Demokratie statt Anarchie?).
In einer Anarchie sehe ich allerdings außer Moral und Nettigkeit keinen Grund, wieso die "Flussaufwärts-Gruppe" auf die Wünsche der 9 Nachfolger eingehen müsste. Wenn diese erste Gruppe also beschließt, verschwenderisch mit der Ressource umzugehen und auch nicht auf Reinhaltung des Wassers zu achten, dann fehlt mir das Druckmittel für diejenigen, bei denen dann statt des klaren Nasses nur noch eine schäbige Kloake ankommt. Nicht immer helfen Appelle und Bitten. Wenn diese Gruppen nichts im Austausch anzubieten haben, sind sie der ersten völlig ausgeliefert. Oder sie gebrauchen Gewalt.
In einer Demokratie hätten alle Beteiligten das gleiche Stimmrecht und auch wenn Gruppe 1 weiterhin egoistisch entscheidet, könnten die 9 anderen diese überstimmen und die Exekutive wäre für die Durchsetzung des Beschlusses verantwortlich. Wenn sie erste Gruppe sich weigert, bei dem demokratischen Beschluss "mitzuspielen", so endet es womöglich in Zwang oder Gewalt, ja. Aber trotz allem finde ich den Sieg des Mehrheit dann besser als meine Vorstellung von Anarchie.
Oder was sehe ich hier falsch? Wie würde eine ideale Anarchie das Problem mit Gruppe 1 hier lösen?
Also das würde ich jetzt aber auch unter idealer Demokratie bzw. einfacher gedacht als es in der Realität verbuchen.
Genau, es sollte schon freiwillig sein. Und tatsächlich wären ja Themen wie Schiffsverkehr und Hochwasserbekämpfung Themen wo Kooperation ganz direkt der einen Gruppe helfen würde. Aber generell gibt es im Anarchismus die weit verbreitete Ansicht, dass Kooperation für alle Beteiligten insgesamt ein besseres Ergebnis erzielt als Konkurrenz und Egoismus. Dafür war unter anderem dieses Buch hier sehr einflussreich: https://en.m.wikipedia.org/wiki/Mutual_Aid:_A_Factor_of_Evolution
Generell glaube ich irgendwie, dass so ein Problem für uns in unserer aktuellen Welt als super wahrscheinlich erscheint und in einer Welt, in der Menschen frei von Herrschaft und andauernder Konkurrenz aufwachen sowas als undenkbar gelten würde.
Aber falls es wirklich so einen Bad Actor geben würde sehe ich(andere könnten das anders sehen) so 2 Perspektiven. Zum ist es sehr wahrscheinlich, dass auf dem Weg zur weltweiten anarchistischen Gesellschaft genau dieses Problem mehrmals aufgetreten ist und Menschen herausgefunden haben was ein guter Umgang damit ist. Zum anderen ist das was wir hier besprechen schon Herrschaft (hier wird das so ein bisschen umstänslich erklärt warum). In einer herrschaftsfeindlichen Welt sollte sowas also stark abgelehnt werden und würde wahrscheinlich mindestens zu starker Isolation der Gruppe führen. Wenn eine Gruppe das Wasser vergiftet, dass andere trinken möchten, dann wäre verschiedene Formen der Selbstverteidigung bis hin zu Gegengewalt sicherlich auch denkbar.
Das führt mich auch nochmal dazu zu betonen, Anarchismus wird keine gewaltfreie Welt erschaffen, so traurig das auch ist. Aber durch konsequente Bekämpfung von Herrschaft können die Folgen von Gewalt minimiert werden und gleichzeitig haben es die Betroffenen der Gewalt sehr viel leichter sich zu wehren weil eben keine gigantischen Machtstrukturen wie bspw der Staat existieren.
Danke für die Links. Beides sind interessante Quellen, die mir helfen, die Idee besser zu verstehen. Auch wenn mir das Konzept Anarchismus nach wie vor sehr fremd erscheint. Von dem, was ich bis jetzt so gelesen habe, setzt man beim Anarchismus sehr stark auf das "Gute". Man geht davon aus, dass Menschen rücksichtsvoll, dialogbereit, offen für Kompromisse, intelligent, rational und einsichtig sind.
Beispiel aus der FAQ:
Ich will unserer Spezies diese Attribute auch gar nicht absprechen. Aber ähnlich wie beim Programmieren gehört für mich zu jedem "Idealfall" auch die Frage nach dem "Worst Case". Sich darauf zu verlassen, dass meistens oder gar immer alles gut geht, empfinde ich als naiv und es widerstrebt mir irgendwie, das als potentiell funktionierendes Konzept anzuerkennen.
Zu Kropotkins Buch steht in der deutschen Wikipedia:
Im Menschen steckt das "Gute" aber eben auch das "Böse". Zu jedem IF gibt es auch ein ELSE. Menschen sind auch egoistisch, irrational. und manchmal einfach schlecht gelaunte Arschlöcher. Und das beschränkt sich meiner Meinung nach nicht auf einige schwarze Schafe, sondern betrifft uns alle. Den einen mehr, den anderen weniger.
Eine Welt in der sich alle (nach ein paar Gesprächsrunden) einig sind, finde ich zwar eine schöne Vorstellung aber das steht in so krassem Gegensatz zu meinen bisherigen Erfahrungen, dass ich mir das einfach nicht vorstellen kann. Ich wäre schon heil froh, wenn Debatten in der Realität wenigstens halbwegs so gesittet und konstruktiv ablaufen würden, wie diese hier. Selbst wenn man am Ende nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommt. Aber meiner Erfahrung haben viele Menschen gar keine Lust, sich überhaupt tiefer mit einem Thema zu beschäftigen, sich auf eine Diskussion einzulassen, werden schnell unsachlich oder persönlich.
Da finde ich es dann irgendwie besser für alle Beteiligten, wenn diese Menschen einen Repräsentanten bestimmten können, dem diese Art der Kommunikation liegt und der ihre Interessen vertritt und dann gemeinsam mit anderen Gesandten einen für alle verbindlichen Kompromiss aushandelt.
Also das ist etwas blauäugig gegenüber dem jetzigen System, wo genau das international der Fall ist: der Stärkste bestimmt. Daher kann es eigentlich nur besser werden wenn mal andere Ansätze ausprobiert werden.
Anarchismus ist auch nicht grundsätzlich gewaltfrei, Selbstverteidigung wird z.B. als durchaus legitim betrachtet. Das Problem ist ehr das bei den von dir oben genannten Beispielen unser jetziges System immer zuerst zur Gewalt oder Androhung davon greift (meist in Form der Polizei) und das im Kontrast dazu natürlich bei Alternativen meist über weniger gewalttätige Lösungsansätze nachgedacht wird.
Zwischenstaatlich würde ich den Status Quo international auch als Herrschaft der Stärksten ansehen. Da stimme ich dir zu. Aber internationale Konflikte sind ja auch nicht innerhalb eines Staates mit einem System. Aber siehst du das auch innerhalb der ganzen Staaten so?
Bei Diktaturen kann man das sicher so sehen aber innerhalb Deutschlands zum Beispiel finde ich jetzt die Gesetzgebung nicht fundamental kaputt. Für Ordnungswidrigkeiten oder kleinere Straftaten wird da in der Regel nicht gleich mit Gewalt eingegriffen. Wer falsch parkt, im Klamottenladen einen Pullover klaut oder jemanden beleidigt hat, wird von der Polizei normalerweise nicht verprügelt. Klar, freidrehende Polizisten gibt es, die ihre masochistische/rassistische/menschenverachtende Ader im Beruf ausleben aber ich denke, solche Menschen wird es leider immer geben - auch in einer hypothetischen Anarchie.
Der Staat gibt ein einheitliches Regelwerk vor, das dann eigentlich für alle gleichermaßen gelten sollte und auch der Strafrahmen (Bußgelder, Sozialstunden, Haft) sollte gleich sein. Von der Theorie finde ich solche zentral beschlossen und universell gültigen Regeln erstmal besser als wenn jeder Hinz und Kunz nach eigenem Ermessen entscheidet was Recht und Unrecht ist.
Auch gibt es in Deutschland doch auch viele "mildere" Organe neben der Polizei, die Regelverstöße ahnden oder verhindern sollen: Ordnungsamt, Schiedsleute, Schlichtungsstellen, Drogenberatung, Sozialarbeiter, Therapeuten uvm.
Jein, auch wenn die Polizei nicht immer gleich losprügelt, steht die Androhung natürlich immer in Raum. Staatliches Gewaltmonopol usw. Wenn man das aufdröselt steht eigentlich immer bei jeder Interaktion mit dem Staat am ende die Androhung von Gewalt und Freiheitsentzug. Gleichzeitig sind die "zentral beschlossenen" Gesetze zum größten Teil entweder Offensichtlichkeiten die auch ohne zentralen Beschluss umgesetzt werden könnten, oder ganz platte Herrschaftsinstrumente um die Reichen oder den Staat selbst zu bevorteilen (und in Deutschland zu einem nicht unerheblichen Teil direkt aus dem Kaiserreich oder der Nazi Diktatur übernommen).
Aber wie gesagt, das heißt nicht das alles was so im Rahmen des derzeitigen Staats gemacht wird durch und durch schlecht ist oder in einer anarchistischen Gesellschaft nicht auch gemacht würde. Aber im Grunde ist der staatliche Machtapparat mit der immer unterschwellig angedrohten Gewalt genau diese Herrschaft der Stärksten. Anarchisten vergleichen den Staat gerne mit der größten Mafiaorganisation in einer Region... klar übernimmt die Mafia auch gewisse Sozialaufgaben und kümmert sich um die "Familie", aber am ende geht es um Geld und Macht.
Das würde ich unterschreiben. Aber was ist die Alternative dazu? Ich meine, in einem der weiter oben verlinkten Artikel gelesen zu haben, dass als letzte Konsequenz der Ausschluss aus der Gemeinschaft droht.
Aber was bedeutet das konkret? Wenn es keine Staaten mehr gibt und die ganze Welt eine Anarchie, wo hört die Gemeinschaft dann auf? Wieso sollte man die Problemfälle "woanders" wollen? Was, wenn sich die Problemfälle weigern, zu gehen?
Ich würde sagen, dass es in der Natur einer Regel liegt, dass sie nur so stark ist, wie die ultimative Konsequenz, wenn man dagegen verstößt. Wenn bei Verstoß gegen Tempolimits nur ein kleines Bußgeld droht, wird das Tempolimit für einen Großteil der Bevölkerung zu einer nett gemeinsamen Empfehlung. So schnell, dass ggf. der Führerschein weg sein könnte oder gar Haft droht, fahren aber wiederum zum Glück die wenigsten.
Ist die Furcht (vor Strafe) nicht irgendwo ein probates Mittel, Menschen davon abzuhalten, ihrem niederen Trieben (Gier, Wut, Verachtung, Ignoranz, Egoismus ...) nachzugeben? Früher hat man dafür oft die Religion instrumentalisiert ("Sünder kommen in die Hölle") aber in einer zunehmend atheistischen Gesellschaft, braucht es meiner Meinung nach schon irgendeine Form von weltlicher Strafe. Selbst wenn präventive Appelle an die Moral vielleicht in den meisten Fällen ausreichen würden, braucht man sie doch zumindest da, wo sie es eben nicht tun.
Schon aber ist der "Stärkste" im Fall einer (funktionierenden) Demokratie nicht der mehrheitlich gefundene Konsens? Die Exekutive führt den Willen der Gesellschaft ja nur aus.
Durch Kapitalismus, Lobbyismus usw. verschiebt sich dieses Kräftegleichgewicht natürlich zugunsten der Reichen. Dies kann und sollte man meines Erachtens zurecht kritisieren aber nur weil der Apfel ein paar faule Stellen hat, muss man ja nicht gleich den ganzen Baum fällen.
Ich hätte im Anarchismus weniger ein Zukunftsmodell, sondern eher die Urform aller unserer modernen Staatsformen gesehen. Mit der immer weiter (zusammen)wachsenden Menschheit, stieß der Ansatz aber an seine Grenzen und es haben sich neue Wege der Entscheidungsfindung für die Gesellschaft herauskristallisiert. Auch angesichts der komplexen Prozesse und Zusammenhänge heutzutage, würde ich sagen, dass es einem einzelnen Menschen heute gar nicht mehr zuzumuten ist, die Folgen des eigenen Handelns zu überblicken und einfach selbstbestimmt und freiheitlich "das Richtige" zu tun.
Das ist ungefähr so wie die Könige zu früheren Zeiten argumentiert haben, also das der Pöbel zu dumm ist um einen Staat zu lenken. Ähnliche Erklärungsansätze werden gerne auch von modernen technokratischen Diktaturen verwendet.
Der Anarchismus sagt: Moment mal, das ist ganz schön entmündigend und stimmt das überhaupt? Sind es nicht vielmehr die Zentralisierung die das nur so (in den Augen der Herrschenden) erscheinen lässt, da kein einzelner da natürlich den Überblick behalten kann? Ist es nicht vielmehr so das wenn man jeden einzelnen mehr Entscheidungsfreiheit lässt, diese vermutlich besser beurteilen können was für ihn oder sie und deren direkte Umgebung am Besten ist?
Deine Erklärungen zur Strafandrohung usw. schießen ebenfalls am Ziel vorbei. Das es keine Schlägertruppen vom lokalen Fürst gibt (=Polizei), heißt ja nicht das jeder machen kann was er will. Am besten per Prävention aber Strafen und Gesellschaftsausschluss können auch anders und demokratischer organisiert werden. Dazu braucht es keinen zentralen Machtapperat mit Gewaltmonopol welches gerne auch mal für andere Zwecke missbraucht wird.
Doch, was für einen selbst am besten ist, weiß man wahrscheinlich schon. Leider ist die beste Lösung für einen selbst aber keineswegs immer die beste für die Gesellschaft. Während einer laufenden Konzerttournee hätten die wenigsten Musiker aus für mehr Kontaktbeschränkungen votiert. Nur wenige, die es sich leisten können, verzichten freiwillig auf Flugreisen oder das eigene Auto. Beim Essen siegen Geschmack und Gewohnheit über Nachhaltigkeit. Preis wird bei den meisten Kaufentscheidungen höher gewichtet als ethische oder nachhaltige Aspekte.
In all diesen Fällen siegt im Alltag leider oft der Egoismus über das Gemeinwohl. Bei komplexen Themen braucht es aber gar nicht mal egoistische Motive, um die falsche Entscheidung zu treffen. Angesichts des immer stärker werdenden Populismus mit einfachen Antworten hat da definitiv auch die Demokratie Nachholbedarf. "Jeder wie er will" halte ich aber dafür noch anfälliger. Die Demokratie zwingt uns zumindest zu einem gewissen öffentlichen Diskurs. Bei Anarchie wäre meine Befürchtung, dass die Fraktion "do your own research" mit ihren alternativen Fakten noch mehr Aufwind bekommt.
Das sehe ich tatsächlich in vielen Themen so und ich würde mich selbst da bei "Pöbel" mit einreihen. Ich würde mich selbst nicht als dumm oder ungebildet ansehen aber es gibt so viele Themengebiete in dieser Welt, da überlasse ich wichtige Entscheidungen lieber einem Expertengremium, die sämtliche Konsequenzen überblicken und die Fürs und Widers gegebenenfalls abwägen können. Auch wenn das Ergebnis für mich nicht immer vorteilhaft und auch nicht immer nachvollziehbar ist, bin ich trotzdem überzeugt, dass für die gesamte Gesellschaft eine passablere Lösung rauskommt, als wenn jeder selbst entscheidet.
Aktuelles Beispiel wäre das Balkonkraftwerk. Als Halblaie auf dem Gebiet wären mir natürlich größere Freiheiten und weniger Regulierung lieber. Wenn aber dafür, dass ich 1500 statt 800 Watt anschließen darf, woanders die Häuser (inklusive der unbeteiligten Nachbarschaft) abbrennen, dann lasse ich mich lieber einschränken, auch wenn meine Elektroinstallation die größere Anlage problemlos verkraften könnte.
Also eigentlich alle Umfragen zeigen das die Bevölkerung bei wichtigen Themen weit aus kompromissbereiter und auch "opferbereiter" ist als es Politiker und andere Eliten denken und entsprechend schlechtere Entscheidungen treffen. Das jeder Einzelne nur oder meist egoistisch handelt lässt sich nicht empirisch belegen und ist ehrlich gesagt ein sehr menschenverachtendes Weltbild. Aber klar die derzeitige Elite, die bei allen wichtigen Themen massiv auf der Bremse steht oder sogar noch kontraproduktiv alles schlimmer macht, profitiert davon Leuten einzureden das das alles schon so Sinn macht und die Leute nur zu blöd sind das zu verstehen.
Thema Balkonkraftwerk: in einigen anderen EU Ländern sind 1500W schon seit Jahren problemlos erlaubt, und nein da brennen keine Häuser ab (trotz teilweise deutlich schlechteren Elektroinstallationen). Das ist eine unsinnige und von anderen Interessen geleitete Diskussion die genau darauf abzielt Leute mit Halbwissen in die Irre zu führen.
Hast du da Links zu?
Vielleicht wohne ich in einer schlechten Gegend aber in meinem Alltag (anekdotische Evidenz ;)) begegnen mir leider häufig die immer selben dummen Stammtischparolen bei Themen, die ich als zentral einschätze. Egal ob Klimawandel, Migration oder Sozialpolitik. Die beliebtesten Argumente sind leider oft die, bei denen "die anderen Schuld" sind und man selbst "wie immer schon" weitermachen kann. Klar sind diese Leute von Populismus indoktriniert aber ich denke, dass die Leute eben genau diese einfachen Antworten suchen. Man sucht nicht ergebnisoffen nach einer Lösung für ein Problem, sondern definiert das Problem solange um, bis als optimale Lösung das gewünschte Ergebnis (meist Status Quo) herauskommt.
So weit würde ich nicht gehen, nein. Aber selbst wenn nur einige wenige nur ab und zu rein egoistisch handeln, reicht das doch schon aus, um es für alle anderen zu verderben. Und in dem Punkt sind wir ja uns denke ich auch einig, zum Beispiel...
Diese Menschen wären ja, wenn morgen die weltweite Anarchie ausgerufen würde, nicht plötzlich weg, sondern würden ja weiterhin versuchen die Gesellschaft zu ihrem eigenen Vorteil zu verdrehen. Und um sowas zu verhindern, bräuchte es aus meiner Sicht eher mehr Regeln als mehr Freiheiten.
Naja, genau darum geht es bei Anarchie. Eine Gesellschaftsform zu finden die es verhindert das sich eine soziopatische Elite bildet (wie z.B. im Kapitalismus).
Anarchismus heißt nicht das es keine Regeln gibt (sondern das es keine Herrscher gibt), aber paradoxerweise führen weniger Regeln oder zumindestens weniger strikte Regeln oft zu sozialerem Verhalten da Leute nicht pedantisch auf ihr Recht beharren. Zum Beispiel gibt es gute Untersuchungen das es im Straßenverkehr weniger Unfälle gibt wenn man Schilder abbaut.
Klinische Soziopaten (d.h. Menschen denen die Empatie fehlt) sind vor allem erfolgreich in hoch reglementierten & hierarchischen Organisationen, oft sogar so sehr das sie an die Spitze gelangen und dann die Regeln zu ihren Gunsten verändern können. In weniger stark reglementierten Organisationen mit horizontalen Strukturen ist die fast nicht möglich.
Dass im Kapitalismus sehr vieles falsch läuft, stimme ich zu und dass es dringend an der Zeit ist, da gegenzusteuern ebenfalls.
Ich weiß aber ehrlich gesagt nicht, ob ein System ohne Macht und ohne Machtgefälle wirklich realistisch ist. Macht entsteht ja ständig und überall, im Großen aber auch im Kleinen. Eltern haben Macht über ihre Kinder, Partner haben gegenseitig Macht übereinander, starke Menschen haben körperliche Macht gegenüber schwächeren, beliebte Menschen haben soziale Macht gegenüber Außenseitern.
Und obwohl das Machtgefüge dort nicht direkt vergleichbar ist mit dem zwischen einem Präsidenten oder Milliardär zu einem Obdachlosen oder Kranken, so kann auch diese Macht missbraucht werden, wenn es keine verbindlichen Regeln gibt. In unserem aktuellen System kommen die armen und schwachen schon zu kurz. Ob die in einer Gesellschaft ohne Regeln wirklich besser dran wären, kann ich mir nicht so recht vorstellen.
Nehmen wir mal an, es gäbe einen Menschen, der nicht besonders intelligent, nicht besonders stark, nicht besonders talentiert und auch noch unbeliebt ist. Wenn dieser arme Tropf dann auch noch krank wird oder in eine andere Notlage gerät, wie wäre in der Anarchie sichergestellt, dass ihm trotzdem Hilfe zuteil wird? In dieser Situation haben alle anderen Menschen - ob sie es wollen oder nicht - Macht über ihn. Sie haben sein Schicksal in der Hand, könnten ihm helfen aber auch einfach sterben lassen. Verbindliche Steuern, Sozialabgaben, Gesundheitssystem kann es ja eigentlich im Anarchismus nicht geben.
Vielleicht fehlt in meinem Kopf immer noch ein entscheidendes Puzzlestück, aber eine Welt ohne Regeln würde in meiner Vorstellung vor allem den Mächtigen nützen. Nicht umsonst schreien ja die meisten konservativen Parteien nach Deregulierung und Liberalisierung während die linken und grünen Strömungen mit ihren Ansätzen als "Verbotsparteien" verschrieben sind.
Gibt es zu dem Schilderbeispiel, das du angebracht hattest, Studien, die auf eine generelle Kausalität zwischen "weniger verbindliche Regeln" und "besserem miteinander" hindeuten? Und mal angekommen, dieser Zusammenhang ließe sich auf andere Bereiche übertragen, ist das deshalb gleichbedeutend mit "keine verbindlichen Regeln" und "bestem Miteinander"? Vielleicht sind auch nur einzelne Bereiche über das Optimum hinaus bzw. überreguliert.
Ansonsten könnte mir auch gut vorstellen, dass die Abwesenheit von Regeln für uns, die so an Regulierung gewöhnt sind, so überfordernd sein kann, dass wir schnell zu Überkompensation neigen. Gibt es beispielsweise an einem Gemüsestand eine Vertrauenskasse mit "pay what you want", so baut das denke ich vor allem dadurch so einen großen sozialen Druck auf, nicht geizig zu wirken, da das so selten vorkommt. Wenn es anonymer wird oder das Phänomen alltäglicher, so nimmt die Großzügigkeit relativ schnell ab ("Was, der Obdachlose will schon wieder Geld? Dem habe ich doch erst letztes Jahr 50 Cent gegeben.").
Also, tut mir leid aber ich glaube du solltest dich erst mal mit den Grundgedanken den Anarchismus beschäftigen. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll bei den ganzen (falschen) Annahmen die du hier triffst, zu einer seit über 150 Jahren bestehenden Gesellschaftstheorie die genau für diese ganzen Sachen gute Vorschläge macht.
Und ich wiederhole mich ungern aber niemand hat je behauptet das es im Anarchismus keine Regeln gibt. Die Idee ist das es keine von oben aufdoktrinierte und unfair bestimmte Personen oder Gruppen bevorteilende Regeln gibt. Die allermeisten Regel in unserer jetzigen Gesellschaft fallen leider in diese Kategorie, was aber denen die davon profitieren oft gar nicht auffällt.
Und zu dem Schilderbeispiel lässt sich leicht Studien finden, einfach mal nach googlen. Das bekannteste Beispiel dafür war in den Niederlanden.